Am Land auf einem Hof leben, sich selbst versorgen und damit Distanz zu Problemen unserer Gesellschaft zu gewinnen … diese Sehnsucht teilen viele von uns, die sich mit globalen Krisen wie Klimawandel, Ausbeutung von Boden und anderen Ressourcen oder Ernährung beschäftigen. Die Attac-Aktivistin Julianna Fehlinger hat den Schritt ins Neuland gewagt.
Seit Beginn dieses Jahres versuche ich, ein Projekt der Selbstversorgung mit zwei anderen Frauen auf einem Hof in Oberösterreich aufzubauen. Bisher hatte ich in Wien Soziale Ökologie studiert und mich mit globalen Umweltproblemen und daraus resultierenden Herausforderungen für unsere Gesellschaft und Wirtschaft befasst. Warum ich den Schritt gewagt habe, selbst aufs Land zu ziehen und mich mit einer nachhaltigen Produktion (im radikalen Sinn von Nachhaltigkeit) zu befassen, möchte ich hier nachvollziehbar machen.
Die Landwirtschaft in unserer Region hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert und ist dadurch für viele Umweltprobleme mit verantwortlich. Durch die Einführung von Geräten, die die körperlich harte Arbeit erleichtert haben, wurde ein Großteil der arbeitenden Menschen in der Landwirtschaft überflüssig. In weiterer Folge setzte der Prozess des „Wachsen oder Weichens“ ein. Nur jene Betriebe, die sich spezialisierten und mehr Fläche und mehr Maschinen besaßen, konnten auf dem „globalen Markt“ bestehen bleiben. Alle anderen mussten weichen.
Doch diese Entwicklung führte und führt nicht nur zu sozialen Veränderungen, sondern hat auch massive ökologische Konsequenzen. Neben vielen bekannten Problemen – Verlust an Biodiversität, Rückstände von Pestiziden, Überdüngung von Gewässern – hat die industrialisierte Landwirtschaft auch ihre Aufgabe als Produzentin von Energie vollständig verloren. Sie produziert im wesentlichen aus fossilen Energieträgern Lebensmittel (das Verhältnis von Input zu Output an Energie ist dabei 1:1). Kleinstrukturierte und vielfältige Landwirtschaft produziert im Gegensatz dazu mehr Ertrag pro Fläche und hat wesentlich weniger Bedarf an fossiler Energie. Doch diese Intensivierung der Produktion konnte nichts daran ändern, dass nach wie vor zwei Milliarden Menschen hungern oder an Mangelernährung leiden. Die bestehenden Machtverhältnisse im Ernährungssystem verhindern die ausreichende Versorgung dieser Menschen, obwohl genügend Lebensmittel produziert werden.
Wir stehen heute vor der Herausforderung, Essen in Zukunft so zu produzieren, dass genügend für alle da ist, ohne soziale Ungleichheiten und ökologische Kreisläufe auszunutzen.
Doch wie kann das gelingen? Je öfter ich diese Frage diskutiert habe, desto mehr ist mir bewusst geworden, dass jeder und jede Einzelne von uns alle diese Probleme nicht alleine bearbeiten kann. Es ist nicht möglich, „richtig einzukaufen“ und durch den ausschließlichen Konsum von regionalen, saisonalen, biologischen und fair gehandelten Produkten diese Krise der Landwirtschaft und Ernährungspolitik zu überwinden. Als Einzelne können wir vor allem nicht verhindern, dass Essen zur Ware gemacht wird.
Diese Problematik, mit der ich mich während meines Studiums intensiv befasst habe, hat mich zu dem Schluss geführt, dass gesellschaftliche Veränderung dort anfangen muss, wo Essen produziert wird. Daher habe ich mich entschlossen, selbst Bäuerin zu werden. Doch da war noch ein Haken an der Sache. Für Menschen wie mich, die in der Stadt aufgewachsen sind, ist es nicht so einfach, Zugang zu Land zu finden und damit überhaupt die Möglichkeit zu haben, neue Wege in der Produktion von Lebensmitteln auszuprobieren. Sollte ich nun einen Bauern heiraten? Oder sollte ich mich bis über beide Ohren verschulden, um mir Land, Gebäude, Maschinen und Tiere kaufen zu können? Keine dieser beiden Varianten konnte mich so richtig begeistern. Daher habe ich mich auf die Suche nach Bauern und Bäuerinnen gemacht, die keine NachfolgerInnen haben, die jedoch möchten, dass ihr Hof weiter bewirtschaftet wird.
Eine Freundin hatte kürzlich den Landwirtschaftsbetrieb von ihren Eltern übernommen und fühlte sich nicht imstande, diesen alleine weiter zu bewirtschaften. So beschlossen wir – drei Frauen – ein soziales Experiment zu wagen, und bewirtschaften nun seit Beginn dieses Jahres einen 26 Hektar großen Betrieb. Als Quereinsteigerinnen sind wir natürlich naiv, müssen viele Arbeiten erst erlernen und natürliche und soziale Prozesse begreifen.
Für mich ist dabei besonders wichtig, offen zu sein für neue und alte Ideen, um unsere Landwirtschaft besser in die ökologischen Kreisläufe einzupassen und neue soziale Beziehungen mit unseren KonsumentInnen einzugehen. In der Bewegung für Solidarische Landwirtschaft gibt es bereits einige Beispiele, wie dies gelingen kann.
Unser Ziel ist, ein gutes Leben für alle Beteiligten am Betrieb zu ermöglichen. Dieses gute Leben bedeutet auch, wirtschaften. Es geht uns aber auch darum, einen solidarischen Austausch zwischen KonsumentInnen und Produzierenden zu gestalten, einen Treffpunkt für verschiedene Menschen zu kreieren, die sich in einen gesellschaftspolitischen Diskurs einbringen wollen und soziale Innovation in die Landwirtschaft einbringen. Dabei müssen wir auch aushalten, dass wir manchmal bei anderen anecken oder sogar Empörung hervorrufen.
Zum Abschluss noch einige Fragen zum Weiterdenken: In welchem Verhältnis steht die Landwirtschaft zu einer Postwachstumsökonomie? Ist ein Wachstum der landwirtschaftlichen Produktion nötig, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren? Welchen ProduzentInnen kommt dabei die Rolle der „Ernährenden“ zu? Sind dies Kleinbäuerinnen und -bauern aus aller Welt oder wird auf das Wachstum von industrialisierter Landwirtschaft gesetzt? Wird versucht, mehr Lebensmittel herzustellen, oder geht es vielmehr darum, mehr energiereiche Nahrung wie Fleisch und hoch verarbeitete (Fertig-) Produkte, die sich im Supermarkt gut verkaufen lassen und mit denen hohe Profite erwirtschaftet werden können, zu produzieren?
Antworten auf diese (und viele andere Fragen) helfen uns dabei einzuschätzen, wie sehr sich die Landwirtschaft(spolitik) einer Region in Richtung einer Postwachstumsökonomie bewegt oder in den kapitalistischen Machtstrukturen verharrt.
In einigen Jahren haben wir wahrscheinlich mehr Antworten darauf, wie eine Landwirtschaft in einer Postwachstumsökonomie aussehen kann.
Julianna Fehlinger ist in der Stadt geboren und aufgewachsen und in den letzten Jahren an der Uni in Wien sozialisiert. Aktivistin bei AgrarAttac und Vorstandsmitglied von Attac. Seit Anfang 2014 lebt sie mit zwei Frauen auf einem gemeinschaftlich geführten Hof in Oberösterreich. Sie ist auch als Bäuerin aktiv in der Bewegung für Ernährungssouveränität.
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